Beflügelt von den Erfolgen der Joghurt-Piraterie wagt sich Cohu momentan an den Heiligen Gral der Brotbäcker: den Sauerteig. Das erstaunliche am Sauerteig ist zunächst einmal, dass er sozusagen aus dem Nichts entsteht. Man nimmt Mehl, Wasser, lässt das alles eine Zeitlang stehen, und voilá: es erwacht zum Leben. Quasi Spontanzeugung, wie bei Aristoteles oder in der Torah (der moderne Spielverderber wird darauf hinweisen, dass die Hefen und Bakterien schon im Mehl schlummern und durch Zugabe von Wasser quasi nur aufgeweckt werden – Pssst!). Jedenfalls ein Traum für jeden, der Unabhängigkeit vom militärisch-industriellen Komplex anstrebt. Er oder sie sei aber gewarnt: das ist eine langwierige Angelegenheit, die man nicht zwischen Tür und Angel bzw. Pflasterstein und Molotowcocktail erledigen kann (historisch gesehen auch nicht nach überstürzter Abreise). Mein Sauerteig jedenfalls säuert jetzt schon seit fast zwei Wochen vor sich hin, und ist bei Weitem noch nicht bereit zum Backen.
Wenn einige meiner Leser jetzt in die altbekannte Klage über "Hausfrauencontent" einstimmen, kann ich nur sagen: mitnichten, meine Herren! Sauerteig ist genau wie Angeln und Kleintierjagd in der Moderne zur Männersache geworden. Das fing nicht erst mit Erfindung des Internets mit seinen männerdominierten Spezialistenforen an (auch hier übrigens steht Piraterie hoch im Kurs!), sondern schon viel, viel früher. Einer der bekanntesten Sauerteige etwa ist "Carl". Er wird seit dem Jahr 1847 von einer amerikanischen Familie geführt und war sogar auf dem Oregon Trail dabei – also bei der allerersten Siedlerwelle gen Westen. Angeregt von einem mittlerweile verstorbenen Familienmitglied kann man sich diese Kultur noch heute kostenlos überall auf der Welt zuschicken lassen. Sauerteig ist – und damit ist seine Maskulinität ja fast schon besiegelt – seit diesen Pionierzeiten auch eine Sache der Cowboys:
"Here follows several very fine recipes for sourdough pancakes or flapjacks, take your pick ’cause they’re all real good. These cakes are especially delicious when cooked out-of-doors over an open campfire when you’re fishing, hunting, out gold prospecting or mining." (Sourdough cooking recipes on cowboyshowcase.com)
Da es in der Prärie keine Hefe zu kaufen gab, hatte jedes Cowboycamp eine liebevoll gehegte Sauerteigkultur. Altgedienten Kräften verliehen die Eroberer des Nordamerikanischen Kontinents die Ehrenbezeichnung "Sourdough", was erklärt, warum es heute noch so viele Countrysänger mit Sauerteig im Namen gibt (den texanischen Sourdough Cowboy, Dale "Sourdough" Myres, Sourdough Slim, Dusty Sourdough). Jaha, werden nun einige sagen, die Cowboys, die kamen mir schon länger verdächtig vor…
Aber: selbst in der verbrieft männlichsten Gegend der Erde, einem Land, in dem man Wolfsjagd aus dem Flugzeug betreibt und schon die Kleinsten die süßen Rentiere noch aus nächster Nähe kennenlernen – selbst in Alaska also gehört Sauerteig zu den must haves traditioneller Küche. Die abgebrühtesten Jack-London-Charaktere, die Herren im Goldgeschäft nämlich, hatten sauerteigmäßig wirklich überhaupt keine Berührungsängste:
"The sourdough starter is delicate and must be kept warm to remain active. The miners usually carried it in a leather pouch on their belt, next to their bodies, on the long journey to the gold fields. In California, the starter was stored through the night near the embers of the fire or balanced on the rafters of the miners’ cabin. In the cold northern reaches of Alaska, the miners kept the starter in their beds at night so it would not freeze." (Sourdough baking, Anya Fernald)
Hm. Ich hoffe, dass hierzulande auch der Platz über dem Heizkörper ausreicht…
(Bild: "The Cow Boy", 1888, Library of Congress via Wikimedia Commons)