England galt lange als Bastion der Ratio (Newton, Mill, Thatcher) und der stets ironisch-distanzierten, lebensweisen Intelligentsia (Wilde, Larkin, Cleese). Aber das geht ja alles den Bach runter.
Fangen wir bei einer besonders drolligen Geschichte an. In der Nähe eines dorset’schen Dorfes names Cerne Abbas findet sich auf eine sanften Hang die vielfach überlebensgroße in den Kreideboden gekratze Zeichnung eines nackten, ostentativ männlichen (s. Abb.), Riesen. Angeblich aus vorchristlichen Zeiten, jedenfalls wird das Ding von heidnischen Religionsgemeinschaften als heiliger Ort verehrt. Nichtsdestotrotz mussten wenig gottes- (bzw. götter-)fürchtige Werber den Nebenhang durch eine ebenso große Figur eines Homer Simpson in Unterhose und mit obligatorischem Donut verzieren, um den Simpsons-Film zu promoten, natürlich aus abwaschbarer weißer Farbe. Schande, sagt die Ober-Heidin der Region:
Ann Bryn-Evans, joint Wessex district manager for The Pagan Federation, said: "We were hoping for some dry weather but I think I have changed my mind. We’ll be doing some rain magic to bring the rain and wash it away." (BBC News)
In England Regenmagie betreiben, das erscheint mir so sinnvoll, wie dafür zu beten, dass auch morgen die Sonne wieder aufgeht, für die Zustellung eines Steuerbescheids, oder dafür, am Ende des Lebens auch wirklich zu sterben. Aber gut, dass die Vernunft vor der Religion die Waffen streckt, ist nichts neues, da ist meine zweite Geschichte vielleicht erstaunlicher:
In Oxford hat es eine lange Tradition, nach Beendigung der letzten Examina die Prüflinge in der Merton Street zu empfangen und dann mit Mehl, Champagner, Konfetti, und allerlei Unrat zu bewerfen ("Trashing"). Großer Spaß, die Universität bezeichnet das allerdings als "antisocial behaviour" und versucht schon seit Jahren, es zu unterbinden. Drastische Strafen von bis zu 150 Euro wurden verhängt, nur ist es halt schwierig, im Gewusel hinter den Exam Schools die bösen Mehl- und Oktopus-Werfer überhaupt zu identifizieren. Naja, es sei denn…die Studenten machen Fotos vom Trashing und veröffentlichen die dann im Internet. Und Uni-Disziplinarbeamten finden sie da und verfolgen die Anti-Sozialen. Montags schrieb denn auch die Student Union eine aufgeregte Rundmail ("URGENT!") und bat alle Mitglieder, ihre Privacy Settings bei Facebook zu überprüfen, um keine Kommilitonen ans Messer zu liefern – inklusive detaillierter Anleitung (s. Abb.). Wohlgemerkt: eigentlich sollten das alles schlaue Kerlchen sein. Aber dass im Internet veröffentlichte Bilder, auch, wenn man das gar nicht will, immer den Weg zu daran Interessierten finden, das hatte sich bei ihnen noch nicht rumgesprochen, genausowenig wie die Funktionsweise einer ursprünglich für durch Spring Break und zuviel Cola verblödete amerikanische Highschool-Studenten ausgelegten Software. Also, Herr Wilde hätte, in der guten alten Zeit, seine Bosie-Eskapaden jedenfalls kaum bei Facebook ausgebreitet. Oder wäre zumindest schlau genug gewesen, den Datenschutz richtig einzustellen…
(Bild: Wikimedia Commons)