Für den Wahlkampf ungeeignet

"Der Konsum kinderpornografischer Materialien wird von einer Vielzahl der Pädophilen als eine Möglichkeit interpretiert, sexuelle Bedürfnisse zu befriedigen, ohne direkte sexuelle Übergriffe zu begehen (…) Das Verlangen, Kinderpornographie zu konsumieren geht mit z.T. erheblichem Leidensdruck einher."  (FAQ des Projekts "Dunkelfeld" der Charité Berlin)

Viele von dieser Störung Betroffene suchen händeringend nach therapeutischer Beratung und Behandlung, finden diese jedoch selten – und dann oft leider erst, wenn sie schon zum Täter geworden sind. Seit ein paar Jahren gibt es das erste größere Projekt zur präventiven Therapie von Pädophilie an der Charité Berlin:

"Pädophile finden in Deutschland praktisch keine ambulante Behandlung", sagte Christoph Ahlers, Psychologe am Berliner Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin damals im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Psychotherapeuten lehnten es aus Angst vor den Reaktionen der Umwelt meist ab, Betroffene zu behandeln. Dabei litten diese oft unter seelischen Nöten: "Wer hierher kommt, hat einen großen Leidensdruck. Offiziell glaubt uns kaum jemand, dass es diese Personen gibt, obwohl sie uns auch von anderen Kliniken überwiesen werden", so Ahlers. Die über tausend Hilfesuchenden  bestätigen, wie groß der Bedarf ist. "Die Hälfte aller Männer, die Interesse an dem Projekt hatten, ist mehr als hundert Kilometer in die Hauptstadt gereist" (SPON)

Die Verbesserung des Beratungs- und Therapieangebotes läuft trotz vielversprechender Ergebnisse der Charité-Studie eher stockend an. Die Bundesregierung unterstützt jetzt das Berliner Projekt mit mickrigen 250.000 Euro pro Jahr, und auch die sind bis jetzt nur auf 3 Jahre bewilligt. Vergleichbare Projekte in den Ländern werden wohl ähnlich schwachbrüstig daherkommen (Schleswig-Holstein etwa gibt 80.000 Euro dafür her – wow.). Lustige Stoppschilder und Ankündigungen wie "Bundesregierung nimmt Kinderporno-Nutzer ins Visier" sind halt wesentlich wahlkampftauglicher.

[Die wichtigsten Informationen und Links zur geplanten Internetsperre finden sich im Wiki des AK Zensur. Dort verlinkt man auch auf eine Wette: Was wird als nächstes zensiert? Mein Platz 1 wären ja die Anonymisierungsdienste.]

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Why We Fight

“Aufgabe der ISAF ist die Unterstützung der gewählten Regierung Afghanistans zur Herstellung und Aufrechterhaltung eines sicheren Umfeldes in Afghanistan. In erster Linie soll so der Wiederaufbau Afghanistans, die Etablierung demokratischer Strukturen und die Durchsetzungsfähigkeit der frei gewählten Zentralregierung vorangetrieben werden.” (Wikipedia: ISAF)

Diese gewählte Regierung Afghanistans versucht mittlerweile, ein Gesetz zu verabschieden, wonach:

– das Sorgerecht für Kinder grundsätzlich nur Vätern oder Großvätern zugesprochen werden kann
– es keine Vergewaltigung in der Ehe mehr gibt, da Frauen zu Sex verpflichtet sind
– Frauen das Haus nur mit Erlaubnis ihres Mannes oder Vaters verlassen dürfen

Eine afghanische Parlamentarierin bezeichnet das Gesetz als “schlimmer als die Taliban”. Das alles steht im Guardian. Die deutschen Medien scheinen sich nicht so sehr dafür zu interessieren – obwohl über eine geplante Aufstockung des deutschen Kontingents und die damit zusammenhängenden diplomatischen Verwicklungen überall in epischer Breite berichtet wird.

Ich habe zum Afghanistan-Krieg keine wirklich gefestigte Meinung, weiß auch insgesamt nicht, was ich von der deutschen Beteiligung halten soll. Bin da einfach unentschieden. Aber, ernst gemeinte Frage: Warum wird es nicht als massives Problem wahrgenommen, dass Deutschland eine Regierung militärisch unterstützt, die eine große Gruppe der Bevölkerung offiziell entrechten will? Warum diskutiert diese Frage niemand?

(P.S.: Eigentlich wollte ich das mit dem Video einer traditionellen afghanischen Sängerin illustrieren. Leider ist sowas – von wenigen im Exil lebenden Ausnahmen abgesehen – schwer aufzutreiben: Frauen, die öffentlich musizieren, bekommen noch immer Todesdrohungen. Die Taliban versuchten ja bekanntlich, alle nichtreligiöse Musik zu unterbinden, und Musikerinnen waren ihnen natürlich ein besonderer Dorn im Auge. Ein hochinteressanter Film über ein Projekt zur Rettung traditioneller afghanischer Musik findet sich hier. Auch, wenn ihre “Freiheit” mittlerweile mehr als sieben Jahre andauert, dürfen wir der im Film gezeigten Musikerin beim Singen nicht zusehen: ihr Gesicht ist gepixelt. Das im Film vorgestellte Afghan Music Project kann man durch den Kauf von Musik unterstützen.)

Und ansonsten – alles frisch?

Das EU-Parlament startet zur Europawahl erstmals eine gemeinsame Kampagne für alle Mitgliedsstaaten.(…) Ergänzt werden die Plakate durch (…) interaktive "Eurostudios". In diesen einem Fotoautomaten vergleichbaren Boxen können Bürger Videobotschaften an die EU-Abgeordneten aufnehmen, die dann auf Großbildschirmen vor dem Europaparlament und der EU-Kommission ausgestrahlt werden sollen. (news.orf.at)

Gibt es etwas, was die inzwischen höchst zweifelhafte demokratische Legitimation der EU besser verbildlichen könnte als Big-Brother-mäßige Videokabinen, in denen verzweifelte Bürger Botschaften an ihre Volksvertreter absetzen? Wohl kaum. Wirklich anschaulich umgesetzt, die Tatsache, dass man als Wähler auf die Abläufe in Brüssel keinen nennenswerten Einfluss mehr hat, und somit schon auf Notmaßnahmen wie Großbildleinwände vor dem Parlament zurückgreifen muss – bravo, Scholz&Friends, ich habe herzlich gelacht! (Fatal wäre es natürlich, wenn das EU-Parlament das ernst meinen würde. Aber so weit wird es ja wohl noch nicht gekommen sein – da bin ich mir ganz sicher.)

Bravo übrigens auch zur Wortschöpfung "Eurostudio". Es ist ja insgesamt ratsam, das Wort Videokabine in seriösen Kontexten zu umschiffen. Denn diese einstmals höchste Modernität verheißenden Kubikel sind inzwischen total von Gestern – allen erzkonservativen Rettungsversuchen aus Reihen der Union zum Trotz….(s. 00:45)

Soso

“Die innere Haltung ist häufig Auslöser für Rückenschmerzen: Angst, Frustration oder Wut. (…) Auch Kinder leiden unter diesen Verspannungen, weil sie im Fernsehen und Internet mit Gewaltszenen und pornographischen Szenen konfrontiert werden. (…) Kinder zwischen 10 und 17 Jahren leiden mittlerweile zu 68 Prozent unter einem schmerzenden Rücken” (sueddeutsche.de)

Pornos sind also nicht nur an Amokläufen schuld, sondern auch an Rückenschmerzen bei Kindern. Komisch allerdings, dass man dafür einen “Rückenpapst” befragen muss – dass man vom Masturbieren einen Buckel bekommt, wusste man doch schon (spätestens) 1831, wie man im Band 6 des “Wörterbuchs der medicinischen Wissenschaften” auf S. 438f. nachlesen kann:

“Diese Art der Kyphosis (Spondylarthrolcace nach Rast) zeigt sich gewöhnlich zuerst in der Lebensperiode wo Scropheln sich ausbilden, und ihren nachtheiligen Einfluss auf die Reproduktion des kindlichen Organismus ausüben. Seltner tritt sie im Jünglingsalter auf, und ist dann Folge unterdrückter chronischer Haulausschläge, der Syphilis, der Masturbation, noch seltener Folge örtlicher Verletzung. Bei der Entstehung dieser Krankheit ist der Wirbelkörper in Folge dyskrasischer Entzündung erweicht, kann das Gewicht des Oberköpers nicht gut ertragen, wird durch Druck theilweise resorbirt, sein Stachelfortsatz fangt an eine Ecke zu bilden. Ein dumpfer Schmerz zeigt sich erst bei zunehmender Difformität…” (Google Books)

Huiui. Zum Trost und Gegenmittel vielleicht ein kleines, durchaus politisch gemeintes Protestlied aus dem Jahre 1965, das heute so wahr ist wie damals.

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Von Golliwog bis Othello

Ein Golliwog ist ein etwas altertümliches und inzwischen durch und durch aus der Mode gekommenes Spielzeug – der Nachkriegsdeutsche (und der Niederbayer bis gut in die 80er Jahre hinein) hätte es als Negerpuppe bezeichnet und nichts besonderes daran gefunden. Zu großem Aufruhr führte das Wort “Golliwog” aber auf unserer Lieblingsinsel neulich, als die Fernsehjournalistin Carol Thatcher (die Tochter der Thatcher) einen Tennisspieler als ebensolchen bezeichnete. Nicht on air zwar, sondern in einer privaten Unterhaltung mit einem Kollegen, aber zur Entlassung hat’s trotzdem gereicht, zumal die garstige Dame es nicht übers Herz brachte, sich zu entschuldigen.

Woher aber kommt es, dass “Golliwog” als Schimpfwort empfunden wird? Anderswo vermarktet man “ethnic dolls” schließlich als Symbole für den endgültigen Triumph über den Rassismus und für den linksliberalen Amerikaner ist es eine Frage der Ehre, dass der Nachwuchs nicht mit greisligen Barbies oder Bratz spielt, sondern mit Amamanta Dolls, die nicht nur anatomically, sondern auch racially nahe an der Realität sind. Auch der Golliwog war ursprünglich vielleicht stereotypisierend, aber nichts direkt Rassistisches – ich vermute jedenfalls, Debussy schrieb seinen Golliwogg’s Cakewalk nicht in der Absicht, Schwarze zu diffamieren:

Warum also der Wandel zum Schimpfwort? Fans von Hanni und Nanni und den Fünf Freunden jetzt bitte weghören – die Schuld am schlechten Ruf des Golliwog trug unter anderem die Schreib-Großindustrielle Enid Blyton, denn, so erklärt die Seite Racism & Golliwogs:

Blyton’s Golliwogs were often rude, mischievous, elfin villains. In Blyton’s book, “Here Comes Noddy Again”, a Golliwog asks the hero for help, then steals his car. (…) Her depictions of Golliwogs are, by contemporary standards, racially insensitive. An excerpt from The Three Golliwogs is illustrative: “Once the three bold Golliwogs, Golly, Woggie, and Nigger, decided to go for a walk to Bumble-Bee Common. (…) So off went Woggie and Nigger, arm-in-arm, singing merrily their favourite song – which, as you may guess, was Ten Little Nigger Boys.”

Das Lied dürfte auch dem deutschen Leser zur Genüge bekannt sein, wenn auch vielleicht eher aus der Ottifanten- oder Jägermeister-Version. Spätestens an diesem Punkt ging der Begriff “Golliwog” also, ähnlich wie “Negerkuss” und “Mohrenkopf” den Weg alles Irdischen.

Aber trotzdem – irgendwie sind diese ganzen stereotypen Mohren (metaphorisch gesprochen) nicht totzukriegen. In einer Münchner Bäckerei jedenfalls fand Cohu gerade das hier:

“Faschings-Othello”, hieß es auf dem Schildchen.

Nennt mich Kalle

Robin Hood für Arme

Bei diesem Vorschlag des Herrn Käfer-Schrümbel (oder so ähnlich) fühlt man sich in ganz andere Zeiten zurückversetzt. Lieb gemeint, aber das hat doch irgendwie schlechte Vibes, Herr Kräter-Schrummel – Cohu, der die Zukunft der Sozialdemokratie schon immer sehr am Herzen lag, macht einen Alternativvorschlag.
Ich weiß nicht, ob die SPD immer noch das größte Parteivermögen hat, aber laut Bundeszentrale Politischer Bildung sind es zumindest

"… ca. 133,86 Millionen Euro. 2004 erhielt die SPD aus der staatlichen Parteienfinanzierung 46,4 Millionen Euro, das waren 27,25% ihrer Gesamteinnahmen." (Dossier Parteien – SPD)

Warum, lieber Herr Schräfer-Kümmel, gibt die SPD das Geld nicht – für 15 Jahre und zu einem Zinssatz von 2 Prozent – dem so heiß geliebten Staat, damit dieser davon die Kraft-Wärme-Kopplung ausbauen und neue Solarzellen entwickeln kann? Man könnte so noch mehr heiße Luft produzieren als durch Steinmeier-Interviews ("Die Gewässer vor dem Horn von Afrika sind aktuell keine Region für Urlaubskreuzfahrten!").

Und dann, verehrter Herr Schrüfel-Kämmer, kann die SPD ja auch noch auf die staatliche Parteienfinanzierung verzichten. Den nächsten Wahlkampf kann man einfach mit der Linkspartei zusammen veranstalten ("Das regt die Leute nicht mehr auf") – Vorteil: die haben noch genug Geld.

Decline of a Nation: Retter der Welt

Wer Briten für steif und temperamentlos hält, hat offensichtlich noch nie Übertragungen aus dem House of Commons gesehen:

[Bonuslink für Bojo-Fans]

Im Vergleich dazu mal das berüchtigte Parlament unserer italienischen Freunde. Mein italienisch ist zu schlecht, um zu verstehen, worum es da geht (ich glaub, der Redner ruft bei 0.28 sinngemäß sowas wie “Mir san da ned im Wirtshaus”…)


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Wääääh! Wäääääh! Wääääääääääh!

Auch wunderschön: musizierende Kinder!

Natürlich gibt es vereinzelte Feinde der Fortpflanzung. Manche(r) ist so stolz darauf, dass es seine Spermien noch nie zur Verschmelzung bzw. ihr Uterus noch nie zur Kontraktion gebracht haben, dass man denken könnte, es handele sich bei der bloßen Nichtproduktion eigener Blagen um eine geradezu übermenschliche Lebensleistung. Dann gibt es auf der anderen Seite die gefürchteten 120%-Eltern, für die das “richtige Leben” erst mit der selbstverständlich komplett schmerzmittelfreien Wassergeburt ihres PaulMaxLeon anfängt und mit dem Abstillen des Burschen nach 6 Jahren so gut wie vorbei ist. Natürliche Abgrenzungskämpfe, die man auch in allen anderen Bereichen findet (Biogärtner vs. Gartennazi, Autofahrer vs. Radfahrer, BWLer vs. attac, IKEA vs. Antiquitäten). In solchen grundsätzlichen Fragen der Lebensgestaltung sind heftige Streitigkeiten überflüssig, aber unvermeidlich. Menschen haben eben generell gerne Feinde, auf die sie dann und wann verächtlich herabschauen können (Ja, auch Du, lieber Leser. Oder was war das, was du da neulich über CSU-Wähler/Bayern-1-Hörer/Frauenzeitschriftenleserinnen gesagt/gedacht hast? Ha!)

Aber warum es notwendigerweise gleich “Kinderfeindlichkeit” ausdrückt, wenn ich keine laute KiTa im Nachbarhaus bzw. der Nebenwohnung haben will, ist mir ein Rätsel (ähnliche Fälle aus Hamburg und München). Ich vermute mal, die lärmgeplagten Nachbarn hätten genauso geklagt, wenn nebenan (wohlgemerkt: in ruhigen Wohngebieten) eine Aerobicstube aufgemacht hätte, in der von 8 bis 18 Uhr kinderlose Mittvierziger ihre (streifenfreien) Körper stählen. Wäre das dann Frauenfeindlichkeit? Sportlerfeindlichkeit? DJ-Bobo-Feindlichkeit? Na klar, Kinderlärm gehört zum Leben dazu. Ausscheidungsprozesse auch, aber deshalb muss ichs doch nicht noch toll finden, wenn mein Nachbar eine Kläranlage aufmacht. Ts.

Er war jung und brauchte das Geld

Eine wahrhaft schockierende Geschichte serviert uns da die SZ:

"Manchen Studenten ist jedes Mittel recht, um ein Stipendium zu bekommen. Ein besonders dreistes Beispiel liefert ein Student, der sich gleichzeitig bei der CSU nahen Hans-Seidel- [sic] und der SPD nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) beworben hatte. Weil er bei der FES nicht aufgenommen wurde, drohte er daraufhin mit dem Parteiaustritt aus der SPD und vergas [sic] auch nicht zu erwähnen, dass er wenigstens bei der Hans-Seidel-Stiftung [sic] untergekommen sei. Nach Rücksprache zwischen den Stiftungen wurde die Förderung eingestellt, weil der Student seine Bewerbung bei unterschiedlichen Werken verschwiegen hatte." (sueddeutsche.de)

Liebe nichtakademische Außenwelt, setz Dich und atme tief durch, ich habe eine ganz schlechte Nachricht: die Bewerbungsrunden und Stipendiatenkarteien der Stiftungen sind voll von Leuten, die mit den "Idealen" der sie finanzierenden Institutionen nichts anfangen können. Da sind manche dabei, die nie in einer Partei waren und auch nicht vorhaben, je in eine einzutreten. Unpolitische. Oder Politische, die sich aber lieber die Hand abhacken würden, als jemals die Partei zu wählen, die ihrer Stiftung "nahe steht".  Und die kirchlichen Stiftungen beherbergen, habe ich mir sagen lassen, nicht nur bis zur Ehe jungfräuliche Katholiken und andere treue Gottesdienstbesucher, sondern alles bis hin zum schändlichen Atheisten. Wie heißt es so schön bei Elvis? One for the money, two for the show…

Das von der SZ geschilderte "besonders dreiste Beispiel" des hemmungslosen Stipendiumsstrichers hat ein Charakteristikum, das im deutschen Stipendienwesen sehr selten ist: Ehrlichkeit. (Und, OK, vielleicht auch noch eine große Portion Dummheit, die erfahrungsgemäß in fast allen Lebensbereichen hinderlich ist).

Auf die Idee, Geld für  wissenschaftliche Forschungs- und Bildungsvorhaben ausgerechnet von politischen Parteien und Kirchen verteilen zu lassen, muss man aber auch erstmal kommen. Das System führt natürlich dazu, dass Projekte und Menschen benachteiligt sind, die nicht in den deutschen Parteienkonsens passen. Löbliche Ausnahme ist die Studienstiftung, die weltanschaulich neutral ist – aber auch nur weniger als die Hälfte der Gelder verteilt. Auch diese Stiftung betont aber, wie alle Förderwerke, die Wichtigkeit des berühmten "gesellschaftlichen Engagements". "Wer sich nur für sein Studium interessiert, wird nicht aufgenommen", Streber unerwünscht. Um mal in meinem Fach zu bleiben: ein junger Wittgenstein hätte in diesem System sicher keinen Pfennig Geld gesehen, Frege erst recht nicht, ganz zu schweigen von Kant (private Tischgespräche zählen nämlich nicht als "gesellschaftliches Engagement").

Damit nicht genug der Seltsamkeiten: das Kriterium der, wie es so schön heißt, "Bedürftigkeit", ist für die Förderwerke (im Gegensatz übrigens zu vielen privaten Stiftungen) irrelevant. So wird wohl so mancher generös mit tausend Kröten Taschengeld im Monat versorgt, der Mietshäuser sein eigen nennt – Hauptsache, er ist "gesellschaftlich engagiert". Darunter fällt auch die Organisation eines Charitydinners für Papas Rotarier.

Das alles wäre schön und gut, wenn es sich bei dem Geld um Parteivermögen, also z.B.  Spenden von Privatleuten, handeln würde. Private Stiftungen haben schließlich auch freie Hand, wenn es darum geht, wen sie fördern wollen –  ist ja ihr Geld. Anders ist das bei den parteinahen Förderwerken:

"Seit 2006 erhöht das Bildungsministerium jährlich die Mittel zur Begabtenförderung, die an die elf großen Förderwerke fließen – von 80,5 Millionen Euro in 2006 auf 113,2 Millionen in 2008."

Von den Stipendiaten gehören wie gesagt etwas weniger als die Hälfte der weltanschaulich neutralen Studienstiftung an. Folglich gibt der Steuerzahler inzwischen jährlich einen beträchtlichen zweistelligen Millionenbetrag aus, um über den Umweg "Stipendium" die Interessen und den Einfluss großer politischer Parteien und Kirchen zu stärken – und das nennt sich dann "Begabtenförderung." Irgendjemand, scheint mir, hat da eine ziemlich begabte Public-Relations-Abteilung.

[Liebe SZ, das ist übrigens der kritische Artikel über die politischen und kirchlichen Förderwerke, den ich, natürlich wesentlich besser geschrieben und ordentlich recherchiert, gerne mal bei Euch oder einem Eurer Kollegen gelesen hätte. Aber PR und Nutzwertjournalismus liegen Euch einfach mehr, nicht wahr?]