Kulturelle Tiefenanalyse des mitteleuropäischen Hausschuhs

Je älter man wird, desto mehr tastet man sich an die Fragen im Leben heran, die wirklich wichtig sind. Und nur so ist es zu erklären, dass mir erst vor Stunden die Frage aufschien: Was ist eigentlich mit Hausschuhen?

Pantoffeldetail aus:
Hans Memling,

Bathseba im Bade, um 1480.
Wikimedia Commons.

Erstens: Einem bestimmten Menschenschlag ist das ganze Konzept "Hausschuh" zuwider. Er – denn es handelt sich eigentlich immer um Männer, den Typ der hausschuhhassenden Frau hat die Evolution schon lange ausgemerzt – sieht im Pantoffel einen Angriff. Worauf, das hängt wiederum von der Sozialisation des Hausschuhhassers ab: auf seine Coolness (Rapper tragen keine Hausschuhe!), seine gewollte Fernheit von (wahlweise) ROMIKA-Bürgerlichkeit oder Zimtlatschen-68ern, seine leder- oder sneakersohlige Stilsicherheit, seinen Purismus und – das haben alle Typen gemein – auf seine Männlichkeit. Die Rebellion drückt sich dann wahlweise in maskulin-bestimmtem Strumpfsockentragen oder dem Anbehalten der Straßenschuhe aus – bis im höheren Lebensalter auch beim Pantoffelrevoluzzer die Prostata bzw. die Ehefrau diesem Unfug ein Ende bereitet. Hausschuhe sind also für Mitteleuropäer wie der Tod: auch bei größter Anstrengung letztlich unausweichlich.

Zweitens. Nachdem diese Grundlagen bereitet sind, widmen wir uns den Details. Für den Deutschen ist eigentlich der Birkenstock der Pflichtschuh – hat sich dieser Korksohler doch wie ein Geschwür über alle Gesellschaftsschichten ausgebreitet und ist sogar im fernen Amerika zur generischen Bezeichnung für breite Treter geworden, eine linguistische Unterwanderung, die sonst nur Blitzkrieg, Rucksack und Angst gelungen ist. Leider tobt um diesen Schuh ein erbitterter Grabenkampf. Während die Geschmacksfrage natürlich schwer zu beantworten ist (Birkenstocks werden in einem Bundesland gefertigt, das eigentlich Garant für weltläufige Eleganz ist), tobt von orthopädischer Seite ein handfester Rechts-Links-Streit um den Birkenstock. Das bequeme Fußbett der Clogs ist, um eine politische Metapher zu bemühen, Sozialstaat für die Füße. Es ist klar, dass hier Puschen-Thatcheristen auf den Plan treten und auf die Nachteile einer solchen Wohlfahrtsgarantie hinweisen, auf die Gefahr nämlich,  "dass die Muskeln und Bänder erschlaffen, wodurch der Fuß seine Form verliert; der Fuß ginge in die Breite und drohe zum Senk- und Spreizfuß zu degenerieren."  (Wikipedia) Cohu schließt sich dieser Auffassung an und trägt deshalb keine Birkenstocks. Meine Füße wollen Eigenverantwortung, keine podiatrische Hängematte.

Drittens. Das zentrale Problem des Hausschuhs im modernen Mitteleuropa ist, meiner Analyse nach, dass angenommen wird, ein Paar Hausschuhe pro Mensch sei ausreichend. So wird es schon manche zart aufkeimende Jugendromanze zerstört haben, dass die Angebetete bei einem Überraschungsbesuch die Haustür öffenete, während z.B. solche "hochwertigen Plüschhausschuhe" ihre Füße zierten. Manch lässiger DJ hat, wenn er ein oder mehrere junge Damen noch zur Durchsicht der Plattensammlung in die Wohnung bat, alle Chancen auf weitergehende Betätigungen durch nikotingetränkte Lammflorpantoffeln zunichte gemacht. Die Tatsache schließlich, dass Hardliner wie Schily und Beckstein zuhause tatsächlich karierte Puschen tragen, und laut Hersteller Günter Jünemann in der FAZ "Selbst Guido Westerwelle bei winterlichen Temperaturen kuschelige Niedertreter" liebt, lässt jeden stilbewussten Schlapfenfreund zusammenzucken – diese Pantoffelhelden! Eine der seltenen Gelegenheiten für Cohu, den Papst zu loben: der trägt nämlich laut Wikipedia von seinem eigenen Schuster gemachte päpstliche rote Lederpantoffeln mit weißen Socken.

Viertens. Gerade in Zeiten, wo immer mehr Menschen Zeit zuhause verbringen (junge Mütter und Väter, Arbeitslose, Alte, Heimarbeiter) brauchen wir eine neue Kultur des Hausschuhs, wo für jede Betätigung und jeden Anlass der richtige Hausschuh vorhanden ist: Birkenstocks für die Pekip-Gruppe, Pompom-Pantoletten für das verführerische Date. Bunte Quastenpantoffeln für Weihnachten. Für Freizeiten der Adenauer-Stiftung oder das Vorstellungsgespräch bietet sich die seriöse Pantolette "Romika Präsident" an. Für nächtliche Hauswanderungen oder Spionageaufträge: Pantoffeln mit Beleuchtung. Extra für die Loge gibt es sogar Opernhausschuhe. Was allerdings fehlt, sind ernsthafte Business-Hausschuhe für die Führungskräfte der Zukunft, für das Meeting im Home Office. Hier sollte man sich eventuell an orientalischen Herrscherpantoffeln orientieren – ich finde, davon geht eine gewisse Autorität aus. Auf dass der Siegeszug der Pantoffeln unaufhaltbar werde!

[Welche Pantoffeln trägt eigentlich der Cohu-Leser so? (Psst! So sehen meine aus. Für den Sommer brauche ich allerdings leichtere).]

8 Responses to “Kulturelle Tiefenanalyse des mitteleuropäischen Hausschuhs”

  1. T.M. Says:

    Also diese bunten Quastenpantoffeln, sind die for her oder for him? Ich find die jedenfalls um Längen besser als diese Herrscherpantoffeln, obwohl die mir ja eigentlich usw. Der Präsident geht gar nicht, ehrlich. Dann doch lieber die rosa Schweine. Vielleicht grunzen die beim Gehen. Ich find aber auch so Tigertatzen ganz gut.

  2. cohu Says:

    Die Quastendinger sind anscheinend für Frauen gedacht. Männer in Kreativen Berufen dürfen sie aber sicher auch tragen.Ich hatte außerdem noch diese Hausschuhe für Iglobewohner bzw. Besitzer von Steinfußböden vergessen.

  3. bibo Says:

    Da kann ich nur Pumuckl zitieren:"Ja was seh ich denn da hocken? – Einen Socken"Übrigens aus der unübertroffenen Folge "Pumuckl und der Föhn".Mir kommen Hausschuhe jedenfalls nicht ins Haus!Warum auch? Ich bin froh, wenn ich mal keine Schuhe anhaben muss.Tip: Man kann auch einfach Teppich verlegen. Bei nacktem Beton-Fußboden in der Wohnung würd ich aber vielleicht darüber nachdenken.Oder wenn ich Papst wäre. In dem Fall würde ich auch nicht strumpfsockig durch den Vatikan schlurfen.

  4. cohu Says:

    "Mir kommen Hausschuhe jedenfalls nicht ins Haus!"Jaja, das hab ich mir fast schon gedacht! Wir können leider keinen Teppich haben, da ich ja mit einem Allergiker zusammenlebe. Von so einem Mitbewohner kann ich insgesamt nur abraten, z.B. wäre auch die einzige Katze, die wir halten könnten, die hier. Uäh!

  5. Wolf Says:

    Seit wann sind Birkenstocks denn Hausschuhe. Wer nach den üblichen jugendlichen Irrversuchen feststellen muss, dass Birkenstocks einziges satisfaktionsfähiges Modell Boston sich auch nur als Arbeitsschuh eignet, weil sich Malerfarbkleckse auf Converse Allstars doch nicht so wertsteigernd vintagemäßig ausnehmen wie erhofft, wendet sich irgendwann einer ganz und gar nicht sissyhaften Barfüßgkeit zu. Übergangszeit: Flip-Flops, und zwar echte, da muss man durch. Und Socken haben gefälligst schwarz und neu zu sein.

  6. blogschrift Says:

    Na, na, na, nur nicht so negativ und deutsch-selbstzerfleischend, ins Englische haben es auch so schöne Wörter wie "Kindergarten", "Wanderlust" und "Wunderkind" geschafft (aber viel schöner ist ja, dass ein Deckenfenster im Französischen "le Vasistas" heißt (hier gefunden)).Ach so, zur Frage zurück: Birkenstock.

  7. cohu Says:

    @blogschrift: Hier ist noch eine ganze Liste von deutschen Lehnwörtern im Englischen. Da fehlt aber auch noch das besonders schöne "Mensch": "[A] mensch is someone to admire and emulate, someone of noble character. The key to being "a real mensch" is nothing less than character, rectitude, dignity, a sense of what is right, responsible, decorous." – dass das über das Jiddische ausgerechnet aus dem Deutschen kommt, "raises eyebrows", wie man im Englischen so schön sagt.

  8. cohu Says:

    Moment, wo ich jetzt schon beim Thema "Deutsches Jiddisch im Englischen" bin, muss ich natürlich unbedingt auf eines meiner Lieblingslieder hinweisen: "Bei mir bist du schön", Andrews Sisters, 1937. Siehe Wikipedia und : Youtube.


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