Ich hatte zur allgemeinen Volksbildung, die mir ja immer sehr am Herzen liegt, hier schon mal erklärt, warum Nichtwählen nicht so schlimm ist, wie von Wohlgesinnten (das schöne Wort kann man jetzt wohl auch nur noch mit unguter Konnotation verwenden?), also meinetwegen von Es-Gut-Meinenden behauptet wird. Nun redet mir in dieser Angelegenheit ein amerikanischer Ökonom das Wort, der (Disclaimer) an der ultralibertären George Mason University tätig ist und auch so aussieht. Donald Boudreaux schreibt:
The notion that greater involvement in politics is noble and beneficial stems from several delusions. The first of these delusions is that all time devoted to politics would be used less productively in nonpolitical pursuits. (…) The person who, say, volunteers to work for a political campaign necessarily takes time away from activities such as studying, working for a private employer or helping parents out around the house. (…) it might be true that spending time on politics is the best use of someone’s time — but it is far from being necessarily true. (Pittsburgh Tribune-Review)
Das ist vielleicht ein bisschen sophistisch. Es wird aber besser:
A more serious delusion is that politics is the only — or, at least, the most noble — venue for each of us to get "involved" with our fellow humans. In fact, though, we are involved even when we pay no attention to politics. We care for our families, support our friends, work at jobs that produce goods and services for millions of people and are active members of churches and clubs. Each of us is intensely involved, daily.
Das, finde ich, trifft ganz gut die Bigotterie, die das "politische Engagement" umgibt: warum soll die Tätigkeit als Politiker, Parteisoldat oder Stimmvolk, Ausschussmitglied oder Wahlkämpfer an sich eine edlere sein als z.B. die als Arbeitnehmer, Unternehmer oder Elternteil, Künstler oder Wissenschaftler? Wer sagt, dass der "politisch Engagierte" seinen Mitbürgern einen größeren Gefallen tut, wenn er über sie betreffende Gesetze abstimmt oder berät, als wenn er mit ihnen Geschäfte macht, oder sich sonst mit ihnen, zur beiderseitigen Freude, austauscht? Bourdeaux Boudreaux meint sogar:
Indeed, we are involved better and more fully when we act privately (that is, outside of government) than when we act politically.
Acting privately, none of us intrudes without invitation into other people’s affairs.
Der politisch Involvierte hat – so die libertäre Ansicht – den unangenehmen psychologischen Grundansatz, dass es ihm persönlich anstehe, anderen zu sagen, was sie zu tun haben. Das ist sozusagen die hässliche Kehrseite des sich rücksichtsvoll enthaltenden Nichtwählers, den ich in meinem Artikel als den wahren Helden identifiziert hatte!
Aus dieser (zugegebenermaßen etwas grobschlächtigen) Theorie folgt aber auch, dass politisches Engagement für solche Menschen äußerst angebracht ist, die für den privaten, freiwilligen Austausch gar kein Gegenüber fänden. Womit wir mit einem Schlag die Phänomene Markus Söder und Andrea Nahles erklärt hätten. Danke, Mr.Boudreaux!
9. April 2008 at 22:57
Heißt der Herr nun Bourdeaux oder Boudreaux? Seinen eigenen Angaben zufolge heißt er ja Boudreaux, aber vielleicht verwechselt er sich mit Bourdieu? Was soll’s! Auf Boudreaux oder Bourdeaux einen Bordeaux!
10. April 2008 at 07:37
Boudreaux. Hab mich nur einmal vertippt. Ist aber auch naheliegend. Er sollte sich einamerikanisieren, zu "Budrow".
10. April 2008 at 10:33
Boudreaux erklärt mir in diesem Zusammenhang auch sehr anschaulich, warum ich Wahlkampflokomtiven wie Elton John so gar nichts abgewinnen kann…
10. April 2008 at 10:59
Wieso die ungute Konnotation zu den Wohlgesinnten?Weil du das Buch gelesen hast und es nicht gut ist oder einfach aus der neugeschaffenen Assoziation zur Nazizeit (auf Grundlage des Buches)?
10. April 2008 at 11:08
@Stadtneurotiker: "Lokomotive" ist da wohl das richtige Wort…@felix: Letzteres! Ich kenne das Buch nicht, hab nur davon gehört. Ich glaube, es ist sehr gut.
10. April 2008 at 17:51
Man kann übrigens hier http://readingroom.faz.net/littell/texte.php?tid=1den Anfang des Buches lesen.Es liest sich soweit ganz interessant, aber die schiere Seitenzahl schreckt dann doch ein wenig ab.
10. April 2008 at 18:00
Die Logik habe ich nie verstanden. Wenn es ein gutes Buch ist, ist man doch um jede zusätzliche Seite froh. Wenn es ein schlechtes ist, sollte man es eh nicht lesen. Aber ich bin auch ein seitenverschlingendes Monster.
11. April 2008 at 08:22
Die Überlegung Seitenzahl -> Volumen -> Gewicht geschah unter der praktischen Abwägung des Transports in meiner schmalen Tasche für den Arbeitsweg.
11. April 2008 at 13:49
@ felix: Wenn die Lektüre während des Arbeitswegs in die schmale Tasche muss, folgere ich, dass sie dann erst am Arbeitsplatz ausgepackt wird… Was hast Du denn für einen tollen Job, dass man bei seiner Ausführung dazu kommt, die "Wohlgesinnten" zu lesen? 😉
11. April 2008 at 20:11
Man unterscheide den laufenden Arbeitsweg (Buch -> Tasche) und den sitzenden Arbeitsweg (Buch -> lesen).