Den Schreibtisch sehen und sterben

Lebensgefährdung durch den Beruf? Nur  Tölpel denken, das sei eine Angelegenheit der Vergangenheit. Im Gegenteil! Meine vor Tagen durch hochdramatischen Papierschnitt zugezogene tiefe Wunde am kleinen Finger hat mich dazu angeregt, mich einmal über das tatsächliche Risiko der Erwerbs- und Berufstätigkeit zu informieren.

Die Moderne, so mein erstes Ergebnis, hat Berufe hervorgebracht, die gefährlicher sind als die wildeste Mammutjagd oder die tollkühnste Walharpunierung: man denke nur an Selbstmordattentäter oder Zahnärzte. Tatsächlich: letztere haben, wie Stack (2001) nachweist, gegenüber allen anderen in der Studie untersuchten Berufsgruppen, und zwar unabhängig von demographischen Faktoren, eine enorm erhöhte Suizidwahrscheinlichkeit! Beim nächsten Wurzelkanal oder Weisheitszahnzug möge es dem werten Leser ein Trost sein.

Und die Gefährdung durch Unfälle? Auch heute nicht zu unterschätzen. Gottseidank kann man in Deutschland die sogenannten "Gefahrklassen" in den Gefahrtarifen der Berufsgenossenschaften zu Hilfe nehmen, um sich einen Überblick über die Risiken unterschiedlichster Berufe zu verschaffen. Gefahrklasse 1 ist der Standard – alles darunter also besonders ungefährlich, alles darüber risikoreicher. Softwareentwickler fallen in die Gefahrenklasse 0.33, Entwarnung also schonmal für die IT. EDV-Berater dagegen müssen, aufgrund des hochgefährlichen Kundenkontakts, immerhin schon in die Klasse 0.63. Versicherungsvertreter und Finanzmakler werden sogar mit 1.53 veranlagt – da schlägt schon mal eine Tür ins Gesicht oder der Telekom-Kleinaktionär übt grausame Selbstjustiz (Inkassounternehmer treten selbstbewusster auf und kommen deshalb mit 0.6 davon). Bildene Künstler dagegen haben ziemlich Pech: sie werden nämlich mit Stuntmen in einen Topf geworfen und (ab 2009) mit der Ziffer 3.0 abgerechnet. Soviel zahlen auch alle Tierzüchter und -Dresseure, egal, ob sie Schildkröten, weiße Tiger oder Hammerhaie halten. Richtig teuer wird die Berufs-Unfallversicherung dann für Fußballer der ersten und zweiten Bundesliga: ihre Gefahrenklasse beträgt schlappe 57,81!  (Näheres über Gefahrklassen findet man hier und in diesem .pdf)

Blogger sind in den berufsgenossenschaftlichen Gefahrtarifen leider noch nicht erfasst. Fallen sie unter "Religionsgemeinschaft," 1,11? Oder gar unter die "Unternehmen zur Freizeitgestaltung", 2,94? Egal: die NYT führ uns schonungslos vor Augen: das ist ein Hammerjob. Blogger sind, so der Eindruck, schlimmer dran als dickens’sche Kaminkehrerjungs des 19.Jahrhunderts. So schlimm, dass jetzt zwei dieser bedauernswerten Kreaturen mit 50 respektive 60 an Herzinfarkt verstorben sind. Und das ist nicht alles: "Other bloggers complain of weight loss or gain, sleep disorders, exhaustion and other maladies" – Wahnsinn. Das ist einfach unmenschlich. Dann lieber Giftschlangenzüchter, Minenräumer oder Medikamententester.

(Bild: www.emailleschilder.com)

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