Reisebericht

Abb.1: Kultureller Widerstand am "Café Erdpyramiden"

Da der bayrische Wald uns tourismustechnisch leider nicht überzeugen konnte (Cohu berichtete), ging unser letztjähriger Jahresendurlaub also doch ins Ausland, zur besser kompatiblen Destination Südtirol, genauergesagt auf den Ritten, einen Berg überhalb von Bozen, und zwar in dieses Gasthaus. Zusätzlich zu etwa 25 aktuellen Reiseführern hatten wir auch noch einen "Merian" aus dem Jahre 1957 dabei, der sich insbesondere hinsichtlich der politischen Situation im schönen Südtirol als sehr instruktiv erwies.
Die Italianisierung, die damals insbesondere im Bozner Raum betrieben und vom Innsbrucker Merian-Autor beklagt wurde, hat wider Erwarten nicht zu einem vollkommenen Verlust deutschtiroler Kultur geführt – siehe Abb. 1. Dies mag auch daran liegen, dass der Italiener (wie etwas unsere Mit-Hotelgäste) bis heute keine Winterreifen aufzieht, was ihn in der Gebirgsregion empfindlich benachteiligt. Die tiefreichende Verwurzelung der Tiroler in der deutschen Kultur sieht man u.a. daran, dass an jedem Kastanienbaum große Schilder angebracht sind, die das Sammeln von Maroni unter strenger Strafandrohung untersagen ("Privatbaum!"), d.h. was dem Starnberger sein BMW ist dem Südtiroler seine Keschte. Säkularisierungstendenzen sind hier allerdings noch nicht so weit vorgedrungen, so gibt es zumindest am Ritten eine Kirchen-, Marterl-, Votivtaferl- und Kreuzweg-Dichte, die die von Handymasten, ach was, die von Handys, in belebten Großstädten weit in den Schatten stellen dürfte. Am 28. Dezember, dem Tag der unschuldigen Kinder, wurde in der von uns aufgesuchten Wallfahrtskirche "Maria Saal" übrigens laut Aushang für "an AIDS Erkrankte" gebetet, und zwar "besonders für Frauen und Kinder".

Abb. 2: Priapische Pyramide

Immerhin konnten wir aber dank des italienischen Einflusses einen Abend in einer Pizzeria zubringen und erfolgreich dem sonst allgegenwärtigen Nocken-, Knödel- und Gröstl-Terror der Tiroler Stuben (auch hier deutliche Anklänge an das, was Siebeck so gerne als "Plumpsküche" bezeichnet), zu entfliehen. Das Hotelrestaurant der "Bemelmans Post", die früher lange Jahre sogar Sigmund Freud während seiner Sommerfrische beherbergt haben soll und eine wunderschöne Jugendstil-Esshalle ihr eigen nennt, war leider ausgebucht. Klar ist allerdings, was den von dunklen Trieben faszinierten Vater der Analyse nach Klobenstein gelockt hat: es können nur die Rittner Erdpyramiden gewesen sein, zur Illustration s. Abb. 2.

Abb. 3: Runkelstein

Wintersport war mangels Schnee (selbst auf über 1500m) nicht drin, daher ging es schließlich noch ins Tal nach Bozen zum "Schloss Runkelstein" (s. Abb. 3). Die Burganlage ist für allem für ihre tatsächlich sehr beeindruckenden Profanfresken bekannt und nennt sich nach einer Restaurierung und neuem "Branding" Anfang dieses Jahrtausends auch "Die Bilderburg". Etwas im Widerspruch zu dieser Marketingstrategie steht, dass man keine Fotos oder sonstigen Filmaufnahmen der Fresken machen darf (hier immerhin eine sehr dürftige Galerie auf der Seite der Stadtgemeinde Bozen, die keinen guten Eindruck von den Fresken vermittelt). Also bleibt dem werten Leser alles in allem gar nichts anderes mehr übrig, als selber mal hinzufahren. Meinen 57er Merian kann ich Euch gerne leihen.

5 Responses to “Reisebericht”

  1. Herbert Says:

    Ja ja die "Keschtn" sind uns Südtirolern tatsächlich heilig … toller Reisebericht; hat mich sehr gefreut, solch wohlwollende Worte über meine Heimatgemeinde Ritten zu lesen.

  2. cohu Says:

    Kann auch den Penzlhof sehr empfehlen, außergewöhnlich schön eingerichtet (Hauswirtin ist Innenarchitektin) & toll gelegen. Da werden wir sicher wieder hinfahren.

  3. Wolf Says:

    Die sehr dürftige Galerie der Bilderburg ist halt das, was man zu Zeiten der Homepage an Anschauungsmaterial haben konnte, ohen selber hinzufahren. Hieße ständiges Aktualisieren da nicht Bilderstürmen?Ich mag ja den Saal der Liebespaare. Ist das ein verschwommener Rudelbums, zwei Panels vor dem "Wir müssen reden"? "Rätselhaft ist die später hinzugekommene Darstellung eines Esels" – und vor allem seine noch später wieder weggekommenen Teile. Für Sommerfrischler Freud ein Totem oder ein Tabu?Egal, war ja nur Urlaub.

  4. cohu Says:

    Mitnichten ein Rudelbums, es handelt sich um die Darstellung eines Kolbenturniers, das neben dem bekannteren Lanzenturnier im Mittelalter sehr beliebt war. Lustig auch: links neben dem Kolbenturnier (nicht in der Galerie enthalten) gibt es einige anscheinend nackte Figuren, weshalb man früher dachte, es sei ein "Bad" o.ä. Unanständiges dargestellt. In Wirklichkeit ist der Maler nur nicht ganz fertig geworden – früher war es üblich, die Leute erst nackt zu malen und dann die Kleider drüber zu pinseln, damit die Proportionen stimmen…Wenn man sich den krüppligen Esel anschaut, hatte der Künstler solche Tricks auch bitter nötig.

  5. Weltenweiser Says:

    Das klingt sehr nett, aber dieses Jahr muss es n eine Region gehen, wo die Wahrscheinlichkeit von gutem Wetter deutlich höher liegt, um das Dänemark-Regentrauma zu verarbeiten.


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