Es gibt bei uns so einige Themen, bei denen – egal, mit wem man redet, sei es Oma oder Verkäuferin, Sozi oder Nazi, Student oder Arbeitsloser – eine Meinung vertreten wird. Als da wären Scientology ("Gefährliche Psycho-Sekte, die verboten gehört"), Freilandhaltung ("Glückliche Hühner!"), Mülltrennung ("Jeder ausgespülte Joghurtbecher rettet ein Stück Umwelt!"), Computerspiele ("Die größte Gefahr für den Deutschen Burschen!") und, nicht zuletzt, staatlicher Schulzwang ("Selbstverständlich") sowie Homeschooling ("Was für religiöse Fanatiker und sonstige Irre!").
Dem letzten Punkt einen kompetenten, sachlichen Artikel entgegenzusetzen bemüht sich die Frankfurter Sonntagszeitung hier – der erste und einzige nicht vorverurteilende, relativ neutrale und unaufgeregte Artikel, den ich zu diesem Thema in deutschen Massenmedien je gelesen habe.
Unabhängig davon, was man von Homeschooling/Schulzwang hält, finde ich jeden Widerstand gegen Einheitsmeinungen respektabel. Erstaunlich allerdings, dass das Infragestellen staatlicher Zwangsbeschulung in Deutschland ausschließlich von konservativ/reaktionärer Seite kommt. Die Linke hat doch eigentlich auch oft Probleme mit staatlicher Einmischung – und kam die ganze antiautoritäre, Anti-Staatsschul-Bewegung nicht ursprünglich von den 68ern? Die taz verbreitet in Familienfragen jedenfalls gerne eine sehr staatsfreundliche Doktrin (cohu berichtete).
11. November 2007 at 20:56
Fand den Artikel auch außerordentlich gut. Hatte mir zugegebenerweise zuvor nie tiefsinnigere Gedanken zur deutschen Schulpflicht gemacht.Wollte dich aber nicht schon wieder auf Geschriebenes Wort hinweisen, deswegen keine Mail von mir diesmal.
11. November 2007 at 21:09
Und ich denk mir schon, "was, interessanter Sonntagsfaz-Artikel und kein ZIP vom Felix im Posteingang?" 🙂
11. November 2007 at 21:50
Herzlichen Dank für diesen Artikel!Bei der Gelegenheit suche ich eine ähnlichen Artikel über das Thema, den Du vor ca. einem halben Jahr geschrieben hast (Aufhänger war ein Wickert-Interview)…
11. November 2007 at 22:07
Ah ja, ich seh schon, wir bräuchten hier mal eine Suche…das war wohl diese Polemik. Sogar körperliche Gewalt wird da angedroht 😉
11. November 2007 at 22:16
Vielen Dank. diesen artikel meinte ich.Und das mit der Suche wollte ich am Dienstag schon anregen, als auch die IT so greifbar nahe war, habe es aber vergessen…
12. November 2007 at 19:47
Als ich das las, fühlte ich mich irgendwie an einen Ort in schönster Tiroler Höhenluft im Oktober zurückversetzt.Zunächst mal müssen Einheitsmeinungen nicht unbedingt etwas Schlechtes sein.Eine nicht massenkonforme Meinung zu haben, hat gewiss immer ihren Reiz und der wird für ein Massenmedium wie die FAZ noch höher liegen, einfach um sich dadurch Nischen zu schaffen und sich abzuheben.Der Grundgedanke, Bildung zu dezentralisieren ist zunächst nicht schlecht.Kleinere Einheiten versprechen eine zielgerichtetere Ausbildung und bessere Föderungsmöglichkeiten des Einzelnen.Homeschooling schiesst aber weit über das Ziel hinaus, denn die Bildungseinheiten, ob nun privat oder staatlich, klein oder groß, müssen kontrollierbar bleiben.Das ist wohl kaum machbar beim Homeschooling.Das Zitat von Humboldt kommt mir allerdings wie ein Zeilenfüller vor:In seinem zeitlichen Kontext hat es sicherlich seine Berichtigung gehabt, da die preußisch-konservative Regierung die Grenzen für alle gesellschaftlichen Bereiche sehr eng steckte und natürlich die Ausbildung stark in Richtung Staatsdiener/Soldat drückte.Das ganze ist nun aber 200 Jahre her.Es gibt keine absoluten Herrscher mehr in diesem Land und ich habe während meiner schulischen Laufbahn nicht bemerken können, dass mir außerodentlich häufig eine Karriere als Statsdiener nahegelegt wurde oder die Bildungsinhalte darauf abzielten.Mich brachte das Zitat:"…..Statt zu freien und gebildeten Menschen werden die Schüler von früh an zu Staatsbürgern gemacht, zu Untertanen also…." nur zu der gegenteiligen Frage:Werden also beim "Homeschooling" statt Staatsdienern, Meinungsklone der Eltern heran gezüchtet?….Gruselig!Wenn ich mir so manche Eltern anschaue, bin ich jedenfalls sehr froh,das es kein "Homeschooling" gibt!
12. November 2007 at 22:53
Natürlich gibt es Gebiete, wo eine Einheitsmeinung angemessen ist. Ich finde es z.B. angenehm, dass es in Deutschland eine "Einheitsmeinung" gibt die den Holocaust als geschichtliche Tatsache wahrnimmt (in anderen Ländern ist das anders). Seltsam finde ich Einheitsmeinungen aber dann, wenn es durchaus Dinge gäbe, über die man diskutieren könnte: bei diesem Thema jetzt z.B. auf einer Seite das Interesse an staatlicher Integration aller Schichten, auf der Anderen das Interesse von Staatsbürgern, keine Freiheitseingriffe hinnehmen zu müssen. Das ist ja wohl keine klare, eindeutige Sache, oder? Seltsam also, wenn darüber nicht diskutiert wird.Homeschooling ist keine Lösung für die Mehrheit, sondern nur für ganz wenige Individuen. "Heranzüchten von Meinungsklonen" kann ich zumindest in den U.S.A. nicht beobachten. Man hat ja trotzdem Kontakt zu Internet, Fernsehen und Gleichaltrigen und ist nicht durch Homeschooling per se von der Umwelt isoliert. *Wenn* Eltern ihre Kinder isolieren (etwa religiöse Fundamentalisten), dann ist das unabhängig von der Beschulungsform ein Problem. Allgemeine Zwangsbeschulung ist aber m.E. nicht die richtige Lösung dafür.
15. November 2007 at 00:15
@Tobi HH:"Wenn ich mir so manche Eltern anschaue, bin ich jedenfalls sehr froh,das es kein "Homeschooling" gibt!"Ich glaube, daß gerade für diese Eltern das Homeschooling größtenteils keine Alternative ist, weil sie schon froh sind, wenn ihre Brut für vier bis fünf Stunden am Tag verräumt ist…