Counterstrike

Seltsam und traurig findet es Cohu, dass auch im neuen Amokläufer-Fall weder in der Presse noch von Seiten der Politik auf das Thema psychischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen und die drittwelthaft schlechte Versorgungssituation in Deutschland hingewiesen wird (siehe zu diesem sehr selten angesprochenen Thema einen ZEIT-Artikel aus dem September).
Ich halte es für relativ unwahrscheinlich, dass der Täter ein glücklicher, psychisch gesunder junger Mann war, der aufgrund der Verführung durch “Killerspiele” unvermittelt auf die Idee kam, doch einfach mal Sprengsätze zu basteln, Waffen zu besorgen und einen Massen- und einen Selbstmord durchzuführen. [Wenn es sowas geben sollte: nehmt Euch vor ihm hier in Acht!] Trotzdem kommen jetzt von der Unionsseite unvermeidlich Verbotsforderungen für solche Spiele. Herr Beck von den Grünen fordert eine Erziehung Jugendlicher zu “Medienkompetenz und einer sinnvollen Computernutzung” – ich bezweifle ganz stark, dass “Medienkompetenz” das Problem von Amokläufern ist – und der Präsident des Lehrerverbandes faselt von “Werteverfall” (siehe SPON) und einer “Kultur des Weghörens”, die man abschaffen müsse (in B5aktuell). Ich bezweifle auch hier wieder vehement, dass einem schwer psychisch gestörten eine “Kultur des Hinhörens” von nicht-Fachärzten geholfen hätte (zumal sich ein solcher “jetzt seid mal alle netter”-Aufruf einfach nicht umsetzen lässt).
Dass es in Deutschland kein zumindest oberflächliches psychiatrisches Screening gibt, wie es in anderen Ländern üblich ist – weder durch die sowieso kaum vorhandenen Schulpsychologen noch durch Hausärzte – , und dass selbst, wenn jugendliche Betroffene eine handfeste Diagnose haben, eine sinnvolle Behandlung selten möglich ist, weil Kinder- und Jugendpsychologen Wartezeiten von bis zu 9 Monaten haben, dass Kinder und Jugendliche genauso oft psychisch erkranken wie Erwachsene, aber fast nie adäquat behandelt werden…scheint der Politik parteiübergreifend egal zu sein. “Killerspiele” zu verbieten macht nämlich mehr Spaß (schon wegen dem Wort “Killerspiele”) und verursacht keine Kosten. (abgesehen von Gewinnausfällen der Computerspielindustrie, aber das sind doch eh alles nichtwählende Tunichtguts!)

13 Responses to “Counterstrike”

  1. Dr.Sno* Says:

    Abgesehen davon, dass ich dir grundsätzlich zustimme, stellt sich mir die Frage ob es denn dann in den Staaten ein noch schlechteres <i>psychiatrisches Screening</i> gibt als hierzulande.Welche Aufgabe haben dabei eigentlich die Lehrer, die immerhin a) eine pädagogische Ausbildung erfahren haben und b) im täglichen Kontakt mit den Jugendlichen stehen? Sind das nur Opfer oder eventuell gar potentielle Lösungsansätze?

  2. David Says:

    Zumindest Spiegel Online hat jetzt aber einen ganz guten Artikel dazu.

  3. cohu Says:

    @ Dr. Sno*:"Welche Aufgabe haben dabei eigentlich die Lehrer, die immerhin a) eine pädagogische Ausbildung erfahren haben"Sicher kann ein Lehrer darauf achten, ob Schüler sich auffällig verhalten. Was kann er aber darüber hinaus tun? m.E. nicht viel. Lehrer haben die Aufgabe, pädagogische Probleme zu lösen. Psychische Erkrankungen gehören in die Hand eines Fachmanns. Das war eigentlich mein Hauptanliegen :-)Die U.S.A. haben entgegen Deinen Vermutungen besseres psychiatrisches Screening, nicht nur bei Jugendlichen. Die Gefahr von Amokläufen ist jedoch dort enorm erhöht aufgrund des teilweise freien Zugangs zu Schusswaffen (Interessant wäre aufgrund der enorm unterschiedlichen Bevölkerungsgröße die Anzahl an Amokläufern, die auf einen Schüler kommt, nicht die absolute Anzahl an Amokläufen, die natürlich in den U.S.A. höher ist. Zahlen habe ich leider nicht).

  4. Felix Says:

    Ich finde den Aspekt psychiatrische Betreuung auch sehr wichtig, aber das ist doch ebenfalls nur Symtombekämpfung, oder?Wo bleibt die Vorbereitung der Kinder auf solche Eindrücke von Killerspielen und Horrorfilmen? Wer ist dafür zuständig?Mit Verboten verhindert man nicht, dass Kinder mit sowas in Berührung kommen, darüber sind wir uns ja einig.Und eine Frage noch: beschränkt sich die pädagogische Ausbildung von Lehrkräften nicht auf Fachdidaktik?

  5. Felix Says:

    Beim zweiten Lesen meines Kommentars merke ich: da hab ich wohl einen klassische Denkfehler abgeliefert. Wenn jemand psychich erkrankt ist, hilft es wohl auch nicht, wenn er wie auch immer auf Killerspiele vorbereitet wurde.

  6. Wolf Says:

    Der Gedanke an solch sinnlose Verbote regt mich auf. Ich mag zwar keine Ballerspiele, aber wenn sie jemand unbedingt spielen will, bitte. Ich verprügle auch gelegentlich mein Kopfkissen, ohne es deswegen auch mit Menschen zu tun. Irgendwo muß man sich manchmal abreagieren. "Psychisch erkrankt" ist immer schnell bei der Hand- so wie neuerdings nahezu alle Kinder ADS haben, die Armen… Können psychische Erkrankungen , wie körperliche, einfach von einem swchlechten Immunsystem kommen? Irgendwas ist bei solchen Kids ziemlich schiefgelaufen, so viel ist klar. Aber so gar keine Achtung vor dem eigenen Leben und dem anderer zu haben und so wenig Eigenverantwortung, daß die Schule Schuld ist, wenn man sie nicht geschafft hat… Das haben dann m.E. echt die Eltern verbockt und nicht irgendwelche Spiele. Da fehlt doch jeder Realitätssinn…@Felix: Alle Lehrer, die ich kenne, sind sehr stolz drauf, auch pädagogisch ausgebildet zu sein, also über die Fachdidaktik hinaus. Inwiefern sie es wirklich sind, kann ich schlecht beurteilen, aber ein bißchen Psychologie gehört zu ihrem Studium meines Wissens schon.

  7. ursi Says:

    cohu, ich geb dir absolut recht. ob spiele, horrofilme oder der sandmann – wenn jemand keine pädagogisch-psychisch sinnvolle hilfe bei problemen erhält, dann ist eh hopfen und malz verloren. leider aber dennoch.

  8. cohu Says:

    Ich will keinesfalls andeuten, dass "alle Kinder" psychisch erkrankt sind oder irgendwelche normalen Verhaltensweisen pathologisieren.Überdiagnose ist aber nicht das Problem, eher im Gegenteil: psychisch kranke Jugendliche werden in Deutschland weder adäquat diagnostiziert noch behandelt. Und an einer medizinischen Unterversorgung kann ich auch mit der besten pädagogischen Ausbildung, und übrigens auch mit hervorragenden elterlichen Fähigkeiten, nix ändern.

  9. Felix Says:

    Um nicht selbst ein Posting schreiben zu müssen ;-)"Mal sehen: drei Knarren, ein Bild des Fuehrers, rechte Zeitschriften,eine Playstation…. OH MEIN GOTT!!! EINE PLAYSTATION!!!" [#]"FIESER TETRIS-SPIELER WIRFT BETONBROCKEN AUF AUTOBAHN!!!" [#]Beachte: Vor 7 Jahren schon wurde Killerspieleverbot geblökt. Du erwartest also wahrscheinlich nicht wirklich, daß in der Politik in den nächsten 7 Jahren irgendwer mal nachdenkt und auf den Trichter kommt?

  10. Wolf Says:

    Daß Überdiagnose zumindest <i>ein</i> Problem ist, glaube ich doch. Weil sie leicht nach sich zieht "Oh, da kann man dann ja eh nix machen, wenn das eine Krankheit ist… Geben wir mal Globuli…"Aber wahrscheinlich neige ich auch einfach dazu, lieber anderswo Probleme zu suchen, als mich für ein gründlicheres Screening auszusprechen. Ein paar meiner Freunde wären aus der geschlossenen Abteilung nicht mehr rausgekommen- und ich vielleicht auch nicht… 😉

  11. cohu Says:

    Die psychiatrische Medizin kennt ja mittlerweile gottseidank auch noch einige Optionen, die zwischen Globuli und Geschlossener liegen 😉

  12. Wolf Says:

    Wow. Der Fortschritt ist wirklich nicht aufzuhalten! *g*

  13. Adam Says:

    @WolfIch hoffe mal, dein "Wow" ist, wie die Schreibweise vermuten lässt, ein Ausdruck deiner Entzückung/Freude/deines Erstaunens und kein Versuch, nun auch noch ein anderes, bislang nur als suchterzeugendes und nicht als Killerspiel bekanntes Spiel in die Diskussion einzubringen? 😉


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