Hm, also wenn diese Rede von US-Notenbankchef Ben Bernanke “Kapitalismuskritik” ist – wie Spiegel online in seiner Überschrift behauptet – dann wird die Weltbank vermutlich bald mit Attac fusionieren. Wer hätte das gedacht? Angeblich mahnt Bernanke sogar vehement “Gerechtigkeit bei der weltweiten Verteilung des Wohlstandes” an.
Ich hatte die Rede eher so verstanden, dass Bernanke für den Kapitalismus, ach was, für globales Wachstum und gegen die protektionistischen Barrieren ankämpft, die einen freien Weltmarkt und damit Wachstum für alle verhindern. Und zwar auch gegen die Widerstände z.B. von Firmen und Arbeitern, die Aufgrund momentaner Umwälzungsprozesse ihre Märkte oder ihren Job verlieren. Solche vorrübergehenden Verlierer der Marktbefreiung muss man, so Bernanke, als gewichtiges Risiko und Problem für die gloable wirtschaftliche Integration sehen. Von “Gerechtigkeit” und “Verteilung” redet er – so, wie ich den Text verstehe – gar nicht, geschweige denn mahnt er sie an. Wie unterschiedlich man doch einen Text interpretieren kann…
28. August 2006 at 11:01
Woher nimmst du eigentlich dieses pausbäckige Vertrauen in den freien Weltmarkt? Man könnte fast meinen, du denkst bei "Wachstum" an Blumenwiesen. Wenn du so weitermachst, schicke ich dir ein paar Linkshegelianer vorbei. Die erscheinen dir dann im Schlaf und rufen immerzu "Mehrwert".
28. August 2006 at 11:29
Hier ging es um Textexegese, gell? Und woher Herr Bernanke sein pausbäckiges Vertrauen in den Weltmarkt nimmt? Hm, keine Ahnung, was unter seinem hübschen Bart versteckt ist.
28. August 2006 at 11:44
Zwing mich nicht, hier zu sagen, dass der Sozialismus gescheitert ist! Bei meiner Leserschaft bin ich mir nicht sicher, ob ich dann nicht gelyncht werde…Oder wollen wir es diesmal mit dem Equilibrismus probieren?
28. August 2006 at 12:19
1. Trost: Das Angebot ist wirklich reichhaltig, man muss nicht zwischen Marktliberalismus, Sozialsmus und Blödsinn wählen. 2. Hier geht’s um Textexegese, klar, aber das Vokabular der Exegetin spricht für sich. Besonders hingewiesen sei auf das wirklich freundliche Wörtchen "Marktbefreiung". Außerdem erinnere ich mich dunkel an einen früheren Werbebeitrag für ökonomische Liberalisierung. Globalisierung verteile den Kuchen nicht, sondern mache ihn größer, irgendwie so. Ich denke dabei immer an das Wunder der Brotvermehrung und an das Märchen vom süßen Brei. Überhaupt vermute ich in diesen beiden historischen Texten die eigentlichen Wurzeln der ökonomischen Liberalisierungsambitionen.
28. August 2006 at 13:54
ad 1: Bin für jede Alternative offen…ad 2: Dass Angriffskrieger seit einigen Jahrzehnten das Wort "Befreiung" missbrauchen, dafür kann ich nun wirklich nix…meinetwegen Abbau von Marktschranken. Hm, der Knackpunkt ist wohl, dass nicht alles Wachstum auf Ausbeutung von Ressourcen beruht. Die Produkte einer Wirtschaft sind auch nicht immer materiell. Unter diesen Prämissen kommt einem Wachstum auch nicht mehr märchenhaft vor…
28. August 2006 at 20:45
Das wird jetzt zwar sehr duennes Eis, aber egal. Mein Stand der Dinge, und wie gesagt, dieser kann grob falsch sein, ist wie folgt. Die sog. Marktwirtschaft ist auch von Volkswirtschaftler nur unzureichend verstanden. Von BWL nach meinem Vorurteilsstand noch sehr viel weniger. Das was an Gesetzmaessigkeiten vorhanden ist, ist zum Teil Empirie. Auch die Modelle die verwandt werden sind meines Wissens, oder eher Halbwissens, sehr weit von der Komplexitaet entfernt, die unsere Welt eben auszeichnet.Insofern stochern alle in einer mehr oder weniger trueben Suppe. Siehe auch einen Artikel in der Zeit zum us-amerikanischen Immobilienmarkt. Mir zumindest erschliesst sich nicht, wie das System Weltwirtschaft ohne Zufluesse von aussen wachsen soll. Auch auf den zweiten Blick nicht. Ich vermisse den Gegenwert des Betrages der Hoeherbewertung.
29. August 2006 at 14:11
Also, zum Korrespondenzverhältnis zwischen Wirtschaftsmodellen und Wirklichkeit kann ich nichts sagen, als Nicht-Fachfrau möchte ich aber anmerken:"Wachstum" (der Weltwirtschaft) bedeutet nicht nötigerweise ein "Dazukommen" an Sachen, sondern sozusagen eine Strukturveränderung (dahingehend, dass die Wünsche der Konsumenten nach einem Wachstumsschub besser befriedigt werden als davor). "Wert" kann man ja auch definieren als "das, was es dem Nachfragenden wert ist" – ein materieller "Gegenwert" muss bei Wertzuwachs nicht gegeben sein.[abgesehen davon, aber das schreib ich jetzt nur aus Klugscheißergründen, gibt es "Zuflüsse von außen"- speziell Sonnenenergie und vermittels derer landwirtschaftlicher Produkte. Des hat jetzt aber mit Wachstum nur im biologischen Sinne was zu tun…]
29. August 2006 at 16:22
Das Wachstum wird lt. Wikipedia nicht ueberall hedonisch berechnet. Sollte man dazusagen.Zur Sonnenenergie, diese kann unmittelbar nur die mehr geernteten landwirtschaftlichen Produkte beitragen.