Catch and Release

Nein, also sowas! Am Freitag kauft sich Cohu das Buch “ABC des Angelns“. Und einen Tag später schreibt die SZ, Angeln wäre der “neue Trend”:

Angeln, das ist vor allem: stundenlang aufs Wasser starren und nichts passiert, sozusagen: meditative Besinnung. (…) Angeln: Das scheint zur Zeit einfach die stilvollste Therapie für die neue Lost Generation zu sein, die vor lauter Gewinnen und weißen Motoryachten das Verlieren fast verlernt hätte. (sueddeutsche.de)

Soso. Ich sage: grundfalsch. Nach meiner Lektüre des Angel-ABCs scheint es mir beim Angeln nämlich um ganz andere Sachen zu gehen als “stundenlang aufs Wasser starren und nichts passiert” und “Verlieren lernen”. Ich muss das mal kurz erläutern:

Die SZ hat, wie so oft, was verpasst. Das Fischefangen ist nämlich längst nicht mehr Domäne der Dosenbierschlürfer und Achselhemdträger. Der heißeste Trend im Angelsport ist nämlich spätestens seit A River Runs Through It das Fliegenfischen. Jeder junge Angler, der heute ins Hobby einsteigt, träumt davon, mal wie Brad Pitt vor schmachtenden jungen Damen zu stehen, wenn er – haha – die Rute rausholt. Passiert am Karpfenteich ja eher nicht.

Der Fliegenfischer ist mit dem traditionellen Standardangler gar nicht zu vergleichen. Einen Großteil seiner Energie widmet er der Konstruktion und richtigen Auswahl der künstlichen Köder. Das sind bei ihm virtuos geschlungene Gebilde aus Haaren, Borsten, Federn und Draht, die bestimmte Futtertiere (z.B. Eintagsfliegen, ihre Larven oder Fische) täuschend echt nachbilden und sogar die launische Forelle zum Biss verlocken (s. Abb.).

Der Angler macht es sich dabei keineswegs im Klappstuhl gemütlich – beim Fliegenfischen, erklärt vielmehr mein Angel-ABC, geht es effizient zu – da “werden ganze Flüsse systematisch abgefischt.” Der Jäger steht nicht wartend da, sondern wirft den verlockenden Köder immer wieder kunstvoll aus – imitiert dabei aus dem lockeren Handgelenk den Insektenflug -, bis die Grätentiere nicht mehr widerstehen können und zuschnappen. Ihr Verhängnis!

Und jetzt zur unvermeidlichen theoretischen Analyse dieses Phänomens, liebe Leser. Beim Fliegenfischen, dem Angel-Trendsport, lernt man nicht Verlieren – sondern Bescheißen. Man legt die schlauste und leckerste Beute aufs Kreuz: die fettesten Lachse, die köstlichsten Raubforellen. Und zwar mit Tücke und intelligent konstruierten, bunten und schillernden, in unglaublicher Vielfalt produzierten Attrappen.

Kam der herkömmliche Angler noch bieder daher wie eine Sparkassenfiliale, ist der heutige Fliegenfischer quasi der Bernie Madoff unter den Fischfängern. Die Trockenfliegen in ihrer unglaublichen Detailtreue und Diversität entsprechen den Swapderivaten, Rainbow Options und sonstigen für die Beute undurchsichtigen, hochkomplexen Finanzprodukten der letzten Jahre. Vom gierig zubeißenden Beutefisch bleiben hier wie dort nur ein paar Gräten und Flossen, zur großen Freude der rutenschwingenden Hochstapler.

Und dieses groß aufgezogene Bescheiß- und Verwirrspiel soll jetzt die Therapie der Lost Generation sein soll, liebe SZ? Na, ich weiß ja nicht. Scheint mir eher überholt. Übernehmt für Eure Stil-Seite doch lieber einen anderen “neuen” Trend, den neulich die NYT ausgerufen hat: Canning. Das grandiose Steckenpferd der Bohème der Weltmetropolen. Das moderne Bungeejumping praktisch, der Poetryslam von heute, so heiß wie Bikram Yoga und so spannend wie Slacklining. Und im Gegensatz zum teuren Angelhobby ist es wirklich rezessionstauglich. Die Älteren unter meinen Lesern werden es vielleicht noch kennen:

Es geht ums Einwecken.

(Bild: Wikimedia Commons)

5 Responses to “Catch and Release”

  1. Stadtneurotiker Says:

    Ist es eigentlich auch nur ein gängiges Vorurteil, daß Angeln einh Männerhobby ist?

  2. Cohu Says:

    Wenn man nach meinem "Angel-ABC"-Buch geht, ist das kein Vorurteil. Jedenfalls sind die Menschen, die darin stolz ihren Fang in die Kamera halten, ausschließlich Kerle…habe auch mein Lebtag noch keine Frau beim Angeln gesehen, jedenfalls nicht in Deutschland.(Diese Geschlechteraufteilung ist übrigens gar nicht so naheliegend. In vielen traditionellen Gesellschaften, zB in Papua-Neuguinea und in afrikanischen Ländern, war der Fischfang schon immer Frauensache…)

  3. Wolf Says:

    Mupf. Kein Dosenbier, das Achselhemd verkommt zum Putzmaterial, die Mädels fallen schon ein – und sie werden besser sein. Nicht mal mehr angeln kann man.

  4. cohu Says:

    Ach komm, was soll das Gejammer – es gibt sie doch noch, die echten Kerle. Schau mal hier!

  5. Wolf Says:

    Jaja siehste, das mein ich…Wenn bei den nächsten Winterspielen endlich Schneepinkeln aufgenommen wird, erübrigt sich in diesem einen Falle der Zusatz "der Herren". Das hat mit Revierbewusstsein zu tun.


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