Aufgrund der großzügigen Leihgabe der IT, die es wiederum als Geschenk erhielt, durfte ich mir in den letzten Tagen das wunderbare Buch "Watching The English" von Kate Fox zu Gemüte führen. Frollein Fox ist eine Oxbridge-Anthropologin und hat als solche schon mal einen Stein, ach, was sage ich, ein Bergmassiv bei mir im Brett, denn wer ist noch ein aus Oxbridge-Anthropologe, jahaaa, dreimal dürft ihr raten, Hugh "Derdürftemichauchmaldiagnostizierenrowrrr" Laurie (nebenbei hier noch ein Bild für die Dartwerfer unter meinen Lesern!) – aber ich schweife ab.
Fox beschäftigte sich bis jetzt mit Subkulturen – nämlich der der Pubs und der Pferderennbahnen – was sie natürlich für eine Untersuchung über die Engländer in besonderer Weise prädestiniert. Besonders interessant sind, neben den vielen englischen Besonderheiten, die in leichter Anekdotenform aufgetischt werden, Fox’ Ausführungen zu den "Class Codes" in den verschiedensten Bereichen von Sprache über Kleidung bis zum Konsumverhalten. Die entdeckt man, wenn man sich das mal überlegt, genauso auch bei uns; den Briten scheint die Klasseneinteilung lediglich stärker bewußt bzw. peinlicher zu sein…
Fox führt den Englischen Nationalcharakter auf eine Liste von Grundeigenschaften zurück: Humour – Moderation – Hypocrisy – Empiricism – Eeyorishness – Class Consciousness – Fair Play – Courtesy – Modesty. Im Zentrum dieser Aspekte steht die "Social Dis-Ease":
"The English social dis-ease is a congenital disorder, bordering on a sort of sub-clinical combination of autism and agoraphobia (the politically correct euphemism would be ‘socially challenged’). It is out lack of ease, discomfort and incompetence in the field (minefield) of social interaction; our embarrassment, insularity, awkwardness, perverse obliqueness, emotional constipation, fear of intimacy and general inability to engage in a normal and straightforward fashion with other human beings."
Das hört sich übel an, macht uns Anglophilen die Inselaffen aber natürlich nur noch sympathischer. Was soziale Fähigkeiten angeht, sind wir Deutschen ja beim besten Willen auch nicht geschickter. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass wir uns und unsere Ungelenkheit auch noch fürchterlich ernst nehmen. Die typisch englische entwaffnende Selbstironie, die Fox als "Oh, Come Off It"-Rule (etwa: "Ach komm!"-Regel") beschreibt, könnte sich der Deutsche an sich deshalb wirklich mal hinter die Ohren schreiben. Und beim Jammern ("Eeyorishness"), das der Frau Fox besonders aufgefallen ist, schlagen wir die Engländer vermutlich noch um Längen…Wobei sich in meiner Interpretation jetzt natürlich der deutsche Nationalcharakter durchsetzt, dessen bitterer Kern meiner Analyse nach aus reinem, unverfälschten Selbsthass besteht, aber ich bin ja keine Antrophologin.
Also, das Buch eröffnet nicht nur einen Einblick in die Psyche des Engländers, sondern in die Struktur menschlicher Gesellschaften überhaupt: die anthropologische Sichtweise auf Sitten und Gebräuche macht einem die tausenden von sozialen Regeln bewußt, die man tagtäglich befolgt, ohne sich ihrer bewußt zu werden. Sehr spannend!
Nur eine Sache hat Frau Fox übersehen – die typisch englische Vorliebe für Teppichboden auch an den unmöglichsten Plätzen wie Badezimmer, Pub und Flughafenwartehallen. Das hätte ich ja gerne mal von einem Anthropologen analysiert gehabt.
8. September 2008 at 10:57
Antrophologin?
8. September 2008 at 11:05
Das bin ich sogar noch weniger als Anthropologin…(Antrophologen betreiben die Lehre des Verhungerns!)