Obwohl ich kein Faschingsmensch bin: ich hab eigentlich grundsätzlich nix gegen Verkleiden, grottige Musik, grelle Farben und großen Radau. Und deshalb war Cohu – wenn sie diese Saison schon zum schätzungsweise 27en Mal den Biedersteinerfasching verpasst – gestern zumindest im "Gwissenswurm" im Resi. Dieses schöne Stück von Ludwig Anzengruber (O-Text gibt’s hier) wurde vom berüchtigten Franz "Schimmerlos" Kroetz zu einem sog. Bauernmusical umgewandelt (Premiere war Ende Januar). Cohus Urteil: großartiger, origineller und originaler, unlangweiliger, pornografischer, blasphemischer, kopfloser, kraftvoller Spaß und Schmarrn! Allein die Bühne (siehe Fotos) wäre Grund genug, sich das Stück anzusehen. Genauso die geniale Bühnenmusik von Rudolf Gregor Knabl. Die Schauspieler durchgehend überzeugend, besonders das Volksschauspieler-Urgestein Gutmann/Kleinheinz in den Hauptrollen. Ein bisserl störend war, dass der Knecht (Marcus Calvin) den Dialekt (eine Art "künstliches Tirolerisch", schon bei Anzengruber so angelegt) nicht sooo überzeugend hingekriegt hat. Aber aufgrund der zahlreichen Musical-Einlagen und des abstrus-grell-comicmäßigen Bühnenbildes fiel das gar nicht so auf. Mag sein, dass die schon bei Anzengruber angelegte und bei Kroetz zum fulminanten Ausbruch kommende Religionskritik Cohu milde gestimmt hat (Cohu berichtete), aber auch ohne Riesenpappjesus und Gesundbeten hätte mir das alles gut gefallen. Nicht so einigen Empörten, die vor dem Schlussapplaus zur Tür liefen, weil es ihnen dann doch zu viel war – arme, gebeutelte Mitte!
Fast genausoviel Spaß hatte ich dann nachträglich auch an der Lektüre der Kritiken – der BR fragt sich, ob eine "derartige Neuinszenierung wirklich notwendig" war. Cohu kann dies reinen Gewissens mit "Nein" beantworten. Neuinszenierungen sind nie notwendig, schon das Schreiben von Theaterstücken ist ziemlich überflüssig, und das von Theaterkritiken gleich dreimal. Die Frage erinnert mich an gestrenge (bayrische!) Eltern, die den strunzbesoffen und zugekifft nach Hause kommenden Sohn fragen: "Hat’s des jetzt wirklich ‘braucht?" – und jeder Freund des Rock’n’Roll, so auch Kroetz, weiß, dass die Frage vollständig am Thema vorbei geht.
Noch lustiger aber die Deutschlandfunk-Kritik (hier auch .mp3). DLF, ich mag Euch wirklich, aber das nächste Mal schickts doch bitte eine Kritikerin, die eine Chance hat, das Stück zu verstehen – rein sprachlich hats da glaub ich bei Frau Dr. Cornelie Ueding schon ausbissn, die ist so beschäftigt damit, sich über den Dialekt zu amüsieren, dass sie zum Stück gar nicht kommt, geschweige denn zur Inszenierung. Und da ist sie dann enttäuscht bzw. fühlt sich "deplaziert in einem ernstzunehmenden Theater", weil sie statt der Canapés und Pastetchen, die sie sonst vorgesetzt bekommt, in einen dicken, fettigen, süßen und marmeladetriefenden Faschingskrapfen beißen muss…
Also, Gwissenswurm ist zu empfehlen, jedenfalls für echte Rock’n’Roller.