Eine große Freude ist es immer wieder, wenn die New York Times voller Ernsthaftigkeit, ohne jegliche Prätention oder Ironie, über "neueste Entwicklungen" der Populärkultur auslässt. (Ein ähnliches Phänomen ist zu beobachten, wenn deutsche Medien über das Internet berichten (Second Life, Bloggen) – zum Kugeln!).
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| Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate! (Bild:Onar Vikingstad/ Wikimedia Commons) |
Aber zurück zur NYT. In letzter Zeit gab es da zunächst mal das Op-Ed des Literaturwissenschaftlers Stanley Fish zum Thema "Wie man heute Kaffee trinkt" – Fish berichtet von einer erstaunlichen neuen Entwicklung in den U.S.A., die man so nicht für möglich gehalten hätte. Laut Fish ist es heutzutage nicht mehr üblich, einen einfachen "Kaffee" zu bestellen, nein, da hat sich eine Kette von sog. Coffee-Shops ausgebreitet (der Name "Starbucks" dürfte den trendigsten Settern unter Cohu’s Lesern vielleicht ein Begriff sein). Der ellenlange Artikel über die Schwierigkeiten, in die einen diese neuen, verwirrenden Etablissements bringen, lässt einen ernsthaft daran zweifeln, ob Herr Fish so weltgewandt ist, wie er sich – durch das Verfassen eines volksverbundenen Artikels über ein derart bodenständiges Thema und die Betonung der Tatsache, dass er in der Zeitung natürlich erstmal die "Sports Page" aufschlägt – gerne präsentieren würde:
"It turns out to be hard. First you have to get in line, and you may have one or two people in front of you who are ordering a drink with more parts than an internal combustion engine, something about “double shot,” “skinny,” “breve,” “grande,” “au lait” and a lot of other words that never pass my lips. (…)
But then your real problems begin when you turn, holding your prize, and make your way to where the accessories — things you put in, on and around your coffee — are to be found. There is a staggering array of them, and the order of their placement seems random in relation to the order of your needs. There is no “right” place to start, so you lunge after one thing and then after another with awkward reaches." (NYT via "Behind the Times")
Sic, möchte man rufen, transit gloria mundi – nicht mal der doch bekanntermaßen besonders erdverbundene Stand der Literaturprofessoren findet sich mehr in der Welt zurecht! Was soll dann erst ein normaler Mensch machen? Zum Teetrinken übergehen? Noch überraschender ist das alles, wenn man bedenkt, dass der erste Starbucks immerhin von einem Englisch-, einem Geschichtslehrer und einem Schriftsteller gegründet wurde… (Slate rief Fish’s Kommentar übrigens zum "worst op-ed ever written" aus).
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Wenn’s schee macht…
(Bild: Wikimedia Commons)
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Gut, aber noch etwas absurder wird es bei diesem Artikel im "Fashion & Style"-Teil vom 9. August. Unter den Single-Frauen New Yorks ist es der neueste Trend, beim Date keinen Salat, sondern ein Stück Fleisch zu bestellen. Über eine dieser wagemutigen Damen wird berichtet:
Red meat sent a message that she was “unpretentious and down to earth and unneurotic,” she said, “that I’m not obsessed with my weight even though I’m thin, and I don’t have any food issues.” She added, “In terms of the burgers, it said I’m a cheap date, low maintenance.”
Salad, it seems, is out. Gusto, medium rare, is in. (NYT)
Ein Restaurantbetreiber meint gar: “I’ve been shocked at the number of women actually ordering steak." Damit, könnte man meinen, ist alles zum Thema gesagt. Aber die NYT besteht auch bei solchen Themen auf ihren hohen Qualitäts- und Recherchestandards und nimmt ihren investigativen Auftrag ernst. Leider hat sich wohl kein Harvard- oder Princeton-Kulturphilosoph gefunden, der einen Kommentar dazu hätte schreiben können. Folglich werden zum Thema "Frauen, die Steaks essen" sage und schreibe sechs Personen interviewt, die den heißen Trend – wie könnte es anders sein – vehement bestätigen.
Cohu hofft inständig, dass dieser Trend – was sage ich, diese Bewegung – nach Europa schwappt und sich bald auch auf Nicht-Single-Frauen überträgt. Auch ich will meiner Umwelt nämlich hin und wieder durch das Bestellen eines saftigen Cheeseburgers tatkräftig beweisen können, dass ich nicht neurotisch bin und keinesfalls food issues habe. Ja, in gewissem Sinne bin ich da dem Trend sogar voraus. Eigentlich hab ich überhaupt noch nie Salat bestellt, und zum Essen gehört ein Bier dazu. Könnte es sein, dass diese Idee der normal essenden Frau eigentlich gar nicht aus der Weltmetropole NY, sondern aus der niederbayrischen Provinz stammt? Vielleicht sollte sich da mal der Leyendecker dahinterklemmen, hinter dieses spannende Thema…



20. August 2007 at 08:19
Naja, da gibt es doch im Frauenfilm »Email für ich« dieses vollkommen unpassende aber ganz witzige Essay über den Kaffeekauf im Coffee-Shop. Ok, der Film ist von ’98, aber vielleicht kam die Billig-DVD jetzt erst in die Hände des Herrn Fish. Oder gar das Buch…? [Übet Milde und Nachsicht und… Ach was.]