Großbritannien ist uns einige Jahre voraus, was die frühkindliche Förderung angeht. Nun gibt es einen "Lehrplan" für 1-5-Jährige in Betreuungseinrichtungen, der vorschreibt, dass der kleine Brite z.B. bis zum 11. Monat mit seinen Zehen gespielt haben, sowie Weinen, Plappern und Kreischen beherrschen soll. Spätestens im 26. Monat soll er "Gefühle ausdrücken" können, bis zum 50. Freundschaften haben, etc. Und:
At five, each child will be assessed against 13 scales based on the learning goals and their score, called an early years profile, must be passed to the Department for Education and Skills. (Guardian)
Das kann man dann später auch in die Bewerbungsmappe legen, á la: "Ich habe schon kurz nach der Geburt Führungsverantwortung übernommen. Meine Eltern waren mir von meiner Geburt im Januar 2007 bis Dezember 2008 vierundzwanzig Stunden am Tag unterstellt. Natürliche Autorität hat dies trotz geringer Körpergröße ermöglicht. Im early years profile erreichte ich dann auch Top-Punktzahlen." Vielleicht könnte man zu diesem Zeitpunkt auch gleich noch die Fingerabdrücke der Kleinen staatlich registrieren?
Ich bin nun wirklich keine Vertreterin der These, man solle Kinder bis zur Präpubertät nur mit biologischen Holzbauklötzen ohne Ecken sowie Tannenzapfen spielen lassen, zumal ich selbst mit fünf in die Schule gekommen bin (aufgrund meiner Annahme, die Grundschule wäre für ein Kind, das schon lesen kann, weniger öd als der Kindergarten – da wurde ich aber bald eines besseren belehrt; vermutlich hätte ich mich weniger gelangweilt, wenn ich bis zum Alter von 18 nur mit Playmobil gespielt hätte). Jedenfalls: ich finde, das geht irgendwie ein bisserl weit. Und wenn ich mir einige der Erziehungsziele anschaue, die die Kindlein bis zum zarten Alter von 5 (!) erreichen sollen, möchte ich darauf hinweisen, dass ich viele erfolgreich einer Berufstätigkeit nachgehende Erwachsene kenne, die diese Anforderungen nicht erfüllen:
Begin to move to music (soll man schon mit 26 Monaten können, ich kann es bis heut nicht)
Express feelings within warm, mutual, affirmative relationships (Man muss jetzt staatlicherseits Gefühle ausdrücken können? Wow. Reichen nicht auch kalte oder einseitige Beziehungen? Kommt, seid realistisch! Wir sind schließlich in Großbritannien…)
Show increasing control in holding and using hammers (…) (Au! Au! AAAAAAUUU ja Du verdammter Scheißhammer! – Na, das war dann zumindest "expressing feelings", oder?)
Complete a simple program on a computer. (Chef bei ehem. Praktikum: "Frau Cohu, drucken Sie mir doch bitte diese ganzen E-Mails aus!" – Antworten werden handschriftlich auf den Ausdrucken vermerkt und sind von Frau Cohu einzutippen sowie abzuschicken.)
Besonders schön aber, wie ich als Moralphilosophin finde – bis zum Alter von 5 (fünf!) soll man:
Understand what is right, what is wrong and have a conception of why this is.
Ich warte jetzt voller Spannung darauf, dass mir ein fünfjähriger Brite seine kohärente metaethische Theorie darlegt…ich habe bis jetzt leider noch keine solche herausgebildet. Naja, Entwicklungsverzögerung, würd ich sagen. Zumindest kann ich schon mit meinen Zehen spielen.
(Bild: Wikimedia Commons / Carin Araujo)
