Während andernorts schon eiskalt der schnöde Wahlkampf eingeläutet wird, möchte ich noch auf den abschließenden Artikel der "Zukunft des Kapitalismus"-Serie in der Zeit eingehen: Jens Jessen, "Fegefeuer des Marktes". Habe ihn allerdings nur überflogen, schließlich bin ich im Urlaub und breche gleich zur Hafenrundfahrt auf…Positiv aufgefallen ist mir natürlich, dass der Autor sich meines Lieblings-Stilmittels, des Nazivergleichs, bedient:
"Nach diesem Muster erklärt der neue Ökonomismus sämtliche Gesellschaftsphänomene, selbst in der Kultur (Aufstieg und Abstieg von Kunstgattungen) und in der Bildung (Untergang des altsprachlichen Gymnasiums). Mit anderen Worten: Das Unterfutter der neuen Marktideologie bildet ein Darwinismus einfältigster Sorte. Die Entwicklung der menschlichen Kultur vollzieht sich in dieser Perspektive unsteuerbar wie die Evolution.
Eine solche Behauptung ewiger Gesetze, nach denen sich die Zukunft vorhersagen lässt, ist nun freilich nach der klassischen Definition Hannah Arendts das wesentliche Kennzeichen aller totalitären Bewegungen. Sie entbinden von jeder Form moralischer Abwägung; denn wer nach diesen Gesetzen Opfer und wer Sieger sein wird, steht von Anbeginn fest. Der Untergang der zum Untergang Verurteilten (der am Markt Schwächelnden) kann nicht verhindert, er kann nur beschleunigt werden, so wie die Nationalsozialisten den Untergang angeblich schlechtrassiger Völker und die Bolschewisten den Untergang so genannter absterbender Klassen beschleunigen wollten.
Dieser Wille zur Beschleunigung ist ein weiteres Merkmal der neokapitalistischen Ideologen, das sie mit den totalitären Bewegungen der Vergangenheit teilen." (link)
Na, was meint ihr? Is doch einer, oder nicht? Ich lass ihn zählen! Und jetzt alle abstimmen, was ist schlimmer: Nationalsozialismus, Stalinismus oder Neokapitalismus?
Was Jessen (obwohl sein Artikel bei weitem nicht so lustig ist wie Lütkehaus’) mit Lutti Lütte gemeinsam hat, ist eine gewisse Skepsis, was die Segnungen der Innovation angeht:
"…alle leiden unter der hysterischen Abfolge technologischer Neuerungen, aber der Wettbewerb zwingt die Produzenten dazu, ständig neue Waren herzustellen." (link)
Ich leide unter vielen Dingen und kann mich auch über viele sehr stark aufregen. Auch Jammern ist eine meiner Stärken. Aber irgendwie hat mich erst Jessen draufgebracht, dass die "hysterische Abfolge technologischer Neuerungen" ein Problem sein könnte…mögliche Erklärungen: Jessen hatte Probleme mit der Umstellung auf DVB-T und sieht jetzt schwarz. Oder er hat eine umfangreiche Sammlung von (künstlerisch wertvollen) Schwedenfilmen (sfw) – auf VHS.
